SPD Nortorf

Festrede von Hans-Detlef Wommelsdorf zur 100-Jahr-Feier

Festrede von Hans-Detlef Wommelsdorf zur 100-Jahr-Feier

Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

ich freue mich, hier vor Ihnen und Euch im Rathaus sprechen zu dürfen. Besonders auch deshalb, weil ich viele unter Euch sehe, mit denen mich in den vergangenen 45 Jahren viel Gemeinsames, vor allen Dingen auch Streiten und Kämpfen verbunden hat.

Die 100-jährige Geschichte der Nortorfer Sozialdemokratie ist geprägt durch die lange Tradition, durch Widerstand und Schwierigkeiten.

Für meine Ausführungen standen mir verschiedene Quellen zur Verfügung:

Vom Gründungsjahr 1905 bis in die 20er Jahre sind wir auf Zeugnisse in der Volkszeitung und der örtlichen Presse angewiesen. Die weitergegebenen Erinnerungen von Werner Wommelsdorf und Willi Mallon lassen uns in die Zeit von etwa 1920 bis 1960 zurückblicken. Es handelt sich um persönliche und vertraute Zeugnisse. Kurt Hamer und Willi Mallon haben in Aufsätzen und Veröffentlichungen die sozialdemokratische Geschichte in Nortorf aufgearbeitet und sie in einen historischen und wirtschaftlichen Zusammenhang gestellt. Die Archivaren der Stadt Nortorf, Frau Zeiß, das Ehepaar Hildebrandt und das Ehepaar Gronewald, haben mit einer Chronik des TUS Nortorf und damit der Geschichte der Freien Turnerschaft, dem Arbeitersportverein und der Chronik der 100-jährigen SPD-Geschichte Nortorfs unsere Blicke für die Vergangenheit geschärft.

 Einem aber ist es zu verdanken, daß wir heute das 100-jährige Jubiläum feiern und in einer Chronik über die 100-jährige Geschichte der SPD in Nortorf blättern können. Es ist Willi Gronewald. Er hat sich mit seiner ganzen Person eingesetzt und Daten, Zeitungsberichte, Bilder und Zeitzeugenerinnerungen gesammelt. Allen Genannten, auch den leider schon Verstorbenen, gebührt unser Dank.

Zuvor aber, um Mißverständnisse einzuschränken, möchte ich daran erinnern, wie schwer der Versuch ist, die vielfältigen Zusammenhänge der zurückliegenden 100 Jahre zu deuten.

In meinen heutigen Ausführungen werde ich mich an die historischen Abläufe halten.

Im ersten Teil gehe ich auf die Zeit von 1904 bis 1918 ein, danach beleuchte ich den Abschnitt der Weimarer Republik bis zur Machtübernahme durch die NSDAP. Zum Schluß betrachte ich die Jahrzehnte von 1945 bis heute.

Mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins im Jahre 1863 unter dem 1. Präsidenten Ferdinand Lassalle schöpfte die unterdrückte Klasse Hoffnung auf ein besseres und gerechteres Leben.

 Im Haus von Heinrich Heine lernten sich Lassalle und der Dichter Herwegh kennen. Eine innige Freundschaft verband sie fortan. Herwegh übersandte ihm noch im Jahre 1863 den Text des Bundesliedes für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. Der Komponist des Liedes war der bekannte Dirigent Hans von Bülow. In der vorletzten Strophe beschwört Herwegh die Macht des Proletariats.

„Mann der Arbeit, aufgewacht, und erkenne Deine Macht! Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!"

Ein anderes Lied der Arbeiterbewegung wurde von einem Revolutionär in einer Moskauer Kerkerzelle geschrieben. Die von Radin verfaßten Verse wurden nach einer russischen Volksweise gesungen und von Hermann Scherchen ins Deutsche übersetzt:

„Brüder, zur Sonne, zur Freiheit! Brüder, zum Lichte empor! Hell aus dunklem Vergangnem leuchtet die Zukunft hervor."

Ich möchte herausheben: Der Text klagt niemanden an, er weckt lediglich Hoffnung bei den unterdrückten Schichten auf mehr Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durch Solidarität.

 Es ist nicht zu bestreiten, daß das Bürgertum und der Adel damals die Macht im Staate unter sich aufteilten. Am Beispiel Hamburgs wird das deutlich. Hamburg zählte zu dieser Zeit 700.000 Einwohner, aber nur 24.000 zählten zum sogenannten Bürgertum. Nur diese 24.000 waren wählbar und durften wählen. Die Bürgerlichen hatten alle Rechte, während die übergroße Mehrheit rechtlos blieb und keinen Einfluß auf die Geschicke in der Hansestadt ausüben konnten.

 Der 1914 entfesselte Krieg zog sich wider Erwarten über 4 Jahre hin und endete mit einer Niederlage Deutschlands und der Abdankung des Kaisers. Mit dem Matrosenaufstand in Kiel bildeten sich Soldaten- und Arbeiterräte, die die alten Machtverhältnisse in Frage stellten.

Der SPD Vorsitzende Friedrich Ebert wurde zum Reichspräsidenten ernannt und Scheidemann rief die demokratische Republik aus.

Diese Stichpunkte mögen genügen, um die allgemeine Lage in Deutschland zu charakterisieren.

Wie sah es zu dieser Zeit im Flecken Nortorf aus? Nach einer Zeit handwerklicher Lederarbeit in Nortorf wurden hier zwei industrielle Lederverarbeitungsbetriebe gegründet. Der eine von dem Juden David Benjamin und der andere, nach einem Brand in Wilster, von dem Unternehmer Böhme nach Nortorf verlegt. So waren Lederarbeiter aus dem Hamburger Randgebiet mit nach Nortorf gekommen. Diesen Arbeitern waren Arbeiterorganisationen und Arbeitervereine nicht fremd. Es entwickelte sich also unter den Arbeitern und deren Familien ein reichhaltiges politisches, gewerkschaftliches, kulturelles und sportliches Leben.

Das verunsicherte die Nortorfer Besitzbürger. Sie gründeten bereits 1891 einen Verein zur Bekämpfung der sozialistischen Agitation, ganz im Sinne des 1878 erlassenem Sozialisten Gesetzes. Der Vorsitzende dieses Vereins, Dr. Prager, provozierte dann auch 1904 bei einem Vortag des Reichstagsabgeordneten Carl Legien vor etwa 130 Versammelten in Nortorf. Legien machte den Herrn auf die Anständigkeit der Arbeiter aufmerksam und bat ihn, sich an diesen ein Beispiel zu nehmen. Prager verließ danach wutschnaubend den Saal. Legien warb in dieser Versammlung für die Gründung eines sozialdemokratischen Vereins in Nortorf. Dieser Appell fand Beifall und ein verheißungsvoller Anfang der Sozialdemokratie in Nortorf war gemacht.

Der schriftlich erwähnte Genosse Paul Bader wurde der erste Vorsitzende des Ortsvereins in Nortorf. Im Februar 1906 wurden 11 neue Mitglieder aufgenommen. Der Verein war mittlerweile von 32 auf 69 Mitglieder angewachsen.

Eine erschreckende Zahl der Besitzenden in Nortorf war nicht bereit und besaß nicht den Großmut, die Arbeiter und deren Kinder an den Leibesübungen in der städtischen Turnhalle an der Jahnstraße teilnehmen zu lassen. Der Sportverein der Bürgerlichen in Nortorf war der Männer-Turn-Verein (MTV). Dieser MTV hatte sich seinerzeit mit einem Baukostenzuschuss ein Mitspracherecht an der gemeindeeigenen Turnhalle und des Freigeländes gesichert.

Die Arbeiterturner konnten sich nicht mit einem Baukostenzuschuß einkaufen und mußten von nun an im Freien, unter anderem auf dem Marktplatz oder in den Sälen der Gastronomie ihren Leibesübungen nachgehen. Was anderseits von den Bürgerlichen nicht beabsichtigt, eine Werbung für die Arbeiterturner darstellte. Die Reibereien mit den Bürgerlichen führten schließlich 1910 zur Gründung eines Arbeitersportvereins, der Freien Turnerschaft in Nortorf.

In die Isolierung  gedrängt machten alle Organisationen der Arbeiterbewegung in Nortorf, auch die SPD, im Jahre 1922 eine Eingabe, um die Mitbenutzung der städtischen Turnhalle zu erreichen. Den folgenden Rechtsstreit übernahm derzeit der jüdische Anwalt Spiegel aus Kiel. Er wurde 1933 von NS-Schergen in seiner Kieler Wohnung erschossen. Die Klage wurde von der damaligen Justiz abgewiesen. Nun war Selbsthilfe gefragt. Die Freie Turnerschaft baute deshalb unter schwierigsten Bedingungen auf einem erworbenen Grundstück an der Bargstedter Straße mit Hilfe aller Nortorfer Arbeitervereine einen Sportplatz und eine Turn- und Versammlungshalle. 1929 wurde die Halle eingeweiht und danach von der SPD, den Falken, den Arbeitersamaritern, dem Gesangverein „Vorwärts", dem ADGB, der AWO und anderen Arbeitervereinen genutzt. Am Rande des Sportplatzes wurde ein Gedenkstein zur Erinnerung an den ersten Reichspräsidenten, dem Sozialdemokraten Friedrich Ebert errichtet.

In den einzelnen Arbeitervereinen und -organisationen finden wir immer wieder die gleichen Namen: Harms, Krüger, Mügge, Wilhelm, Wommelsdorf, Rehmke, Lange, Struck, Andres, Steen, Döbbel, Mallon, Harder, um einige zu nennen.

Die Arbeiter und deren Vereine, auch der SPD, konnten sich aber nur etwa vier Jahre über ihre neue Halle freuen, denn seit dem 30. Januar 1933 war alles anders.

Ein anderes Beispiel aus Nortorf wirft ein bezeichnendes Licht auf die damaligen Verhältnisse in unserer Stadt. 1919 erklärte die Nationalversammlung den

1. Mai zum nationalen Feiertag. Die Feinde der Republik hatten auch bei uns viele gutgläubige Mitläufer, die unter dem Schutz des Staates den Feiertag sabotierten. Man traf sich zwar am 1. Mai in Nortorf vor der F.T. Turnhalle und zog mit dem Spielmannszug zu den Lederfabriken. Dort spielte man so lange, bis sich mutige Arbeiter aus den Fabriken dem Zug anschlossen. Beim Juden, wie man die Lederfabrik Loges & Rassmussen nur nannte, waren es noch viele, aber bei Böhme, der anderen Lederfabrik kamen nur noch Vereinzelte dazu, denn den Arbeitern drohte mit der Arbeitsniederlegung die sofortige Kündigung.

1909 erhielt der Flecken Nortorf die Stadtrechte. Bürgermeister von 1908 bis 1931 war der spätere Ehrenbürger Rudolf Beyer. Nach seiner Pensionierung übernahm sein Stellvertreter Rudolf Georgi die Amtsgeschäfte. Er war der erste SPD-Bürgermeister in Nortorf.

1918 und 1919 war das Land bekanntlich von tiefgreifenden politischen Umwälzungen geprägt. 1919 bekamen die Frauen erstmals das Wahlrecht in Deutschland.

Am 19.11.1918 trat in Nortorf die bürgerliche Stadtvertretung zusammen.

Die Beschlüsse spiegelten die schwierige und unklare politische Lage wieder.

In Nortorf hatte sich auch ein Arbeiterrat gebildet. 2 Mitglieder dieses Rates wurden mit beratender Stimme in die Stadtverordnetenversammlung entsandt. Der Lagerarbeiter Riecken und der Holzpantoffelmacher Jens Bahns waren die ersten Sozialdemokraten als Beisitzer im Stadtrat. Am 2.4.1919 trat die erste gewählte Stadtvertretung zusammen. Mit der Hausfrau Margarethe Rehmke von der SPD stimmte erstmals eine Frau über die Geschicke der Stadt mit ab.

Die SPD hatte 6 Sitze gewonnen.

Es war der erste faire Wahlkampf in Nortorf. Dabei wies die SPD auf die Abschaffung der Klassenwahlrechtes hin und den Wegfall der Herrschaft des Besitzes. Darüber hinaus wurde unter anderem soziale Gerechtigkeit, gleichmäßige Wohlfahrtsförderung in den Gemeinden, billiges Bauland für Minderbemittelte, Förderung begabter Kinder, Lernmittelfreiheit, Mutterschutz, Überwindung der Ernährungsschwierigkeiten, stärkere Besteuerung des Grundbesitzes und des Baulandes gefordert. 

Der sozialistische Abgeordnete Jens Bahns unterlag damals mit 6 Stimmen dem Bürgermeister Beyer als Kreistagsabgeordneten.

Die ganze Wahlperiode war geprägt von den Folgen des verlorenen Krieges und dem Elend der Nachkriegszeit. Bis Ende 1923 kennzeichneten Unversöhnlichkeiten der Siegermächte, innere Unruhen, Inflation, Weltwirtschaftskrise die Lage, dennoch wurde angestrengt versucht, eine neue Demokratie in der Weimarer Republik durchzusetzen.

Die galoppierende Inflation ließ auch Nortorf nicht verschont. Erst die Einführung der Rentenmark stabilisierte 1923 die Währung.

In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft entschied die Nortorfer Stadtvertretung mit den Stimmen der Sozialisten 1924, eine Elektrifizierungsanlage von Siemens & Schukart bauen zu lassen. 1929 traf die Weltwirtschaftskrise auch Nortorf mit ihrer ganzen Wucht.

Die Weimarer Republik stürzte in eine tiefe Rezession bei steigender Arbeitslosigkeit. Am 23.3.1933 wurde das Ermächtigungsgesetz verkündet und die Grund-rechte außer Kraft gesetzt. Die Sozialdemokraten hatten als einzige dagegen gestimmt. Die Kommunisten waren bereits ausgeschaltet.

In Nortorf hatte die SPD nach der Wahl am 12.3.1933 nur noch 4 Sitze.

Am 3.4.1933 hatten diese 4 noch mutig gegen die Ehrenbürgerschaft von Hitler und Gauleiter Lohse gestimmt.

Mit dem Runderlaß des preußischen Innenminister Göring vom 23.6.1933 erfolgte der nächste Schlag. Die sozialdemokratischen Abgeordneten in Volks- und Gemeindevertretungen wurden von der Wahrnehmung ihre Mandate ausgeschlossen. Die SPD wurde von diesem Zeitpunkt an als eine staats- und volksfeindliche Organisation gebrandmarkt.

Das war das vorläufige Ende der SPD in Nortorf. Auffällige und aufmüpfige Sozialdemokraten gehörten nun zu den Verfolgten wie Kommunisten, Juden, Roma und Sinti. Die noch 1929 gewählten Sozialdemokraten Bader, Bahns, Wriedt, Dierks, Krüger, Rehmke, Ernst Döbbel wie auch die am 27.2.1933 gewählten sozialdemokratischen Kandidaten Pott, Steen, Wommelsdorf, Mevs, Mester, Krohn, Kähler, Johann Döbbel, Hasselbarth und Wedemeier waren mundtot gemacht worden und gehörten während der braunen Diktatur zum standhaften Kreis in Nortorf. Sie gründeten nach dem Zusammenbruch die SPD in Nortorf neu. Teilweise sind heute ihre Kinder und Enkelkinder aktive SPD-Mitglieder.

Nach der Machtübernahme stellten die NS-Schergen Kritik an der neuen Regierung unter Strafe. Verbotene Arbeitervereine und -organisationen enteigneten und zerschlugen sie. Am 11.8.33 setzte sich der NSDAP Parteigenosse und Bürgermeister Hein als Gläubigervertreter der Freien Turnerschaft ein und führte das Enteignungsverfahren durch. Die NSDAP setzte zwar den 1. Mai 1933 als gesetzlichen Feiertag wieder ein. Es war aber ein Scheinzugeständnis an die Arbeiter. Schon der Name „Nationalsozialistische deutsche Arbeiter Partei" triefte von plumper Verlogenheit. Den Arbeiterorganisationen blieb nur der Untergrund mit heimlichen Treffen und dem Glauben an eine bessere Zeit.

Und tatsächlich, obwohl nach dem Zusammenbruch 1945 die Alliierten durch Einsprüche den Aufbau der Arbeiterorganisationen beeinträchtigten, fand 1946 die erste Maidemonstration wieder statt. Auch die SPD feierte ihre Wiedergeburt.

Bereits 1945 versuchten Sozialdemokraten in Nortorf einen Sportverein zu gründen. Allen voran Karl Feldmann und Werner Wommelsdorf. Die beiden vorher bestehenden  und rivalisierenden Vereine schlossen sich unter dem TUS Nortorf zusammen. Es sollte ein Verein für alle Bürger sein.

Es begannen die Verhandlungen und Prozesse um die Wiedergutmachung der Enteignung zwischen den Arbeitervereinen und der Stadt. Sie dauerten bis Mitte der 50er Jahre.

Rückblickend kann man sagen, daß in Nortorf nach 1945 die wirtschaftlichen und politischen Gewichte neu verteilt wurden. Es begann ein neues Kapitel der Stadtgeschichte. In einer solchen Zeit bedarf es aller Kräfte und keinen Zustand des Zögerns und Zauderns. Das ist eine Erfahrung aus der Weimarer Zeit.

Auch die Nortorfer Sozialdemokraten fühlten sich gefordert und leisteten ihren Beitrag.

Nach dem Zusammenbruch im Mai 1945 hatten die Besatzungsmächte die Gewalt des Staates übernommen. Sie setzten Verwaltungen ein und entließen sie. Die Bürgermeister und Gemeindevertreter blieben nicht lange im Amt.

Am 11.2.1946 wurden zwanzig Damen und Herren ins Rathaus geladen.

Eine Gemeindevertretung, ein ehrenamtlicher Bürgermeister und ein Stadtdirektor wurden von der Militärregierung eingesetzt. Der Bürgermeister war Repräsentant, der Stadtdirektor mit der Durchführung und Leitung der Stadtgeschäfte beauftragt. 7 Monate später wurde gewählt. Ehrenamtlicher Bürgermeister wurde am 15.9.1946 der Sozialdemokrat Wilhelm Techam.

Die nächste Wahl fand am 29.10.1948 statt. Mit den sechs Stadtverordneten Hans Dierks, Julius Haupt, Max Horn, Wilhelm Techam, Alfons Tschirschwitz und Helmut Zopf waren die Sozialdemokraten in der Minderheit. Durch die Wohnungsreform von 1948 wurde die Zwangswirtschaft der Wohnungsbelegung förmlich beendet. 

1950 gab es eine neue Gemeindeordnung. Nortorf hatte jetzt eine Stadtverordnetenversammlung, einen Bürgervorsteher und einen hauptamtlichen Bürgermeister.

Die Sozialdemokraten setzten besonders im sozialen Bereich Akzente. Es war eine Lehre aus der Weimarer Zeit und zeigte die Verantwortung der SPD, wenn der amtierende Bürgervorsteher Werner Wommelsdorf 1959 anläßlich der 50 Jahrfeier der Stadt  in seiner Begrüßungsrede feststellte: „Unsere Stadt ist auch für die Zukunft nicht aufgabenlos. Vor allem brauchen wir neue Wohnungen für unsere 700 einpendelnden Arbeitskräfte und die jungen Eheleute." Wenn man bedenkt, daß  14 Millionen ihre Heimat im Osten verließen, dann ist die Integration der Heimatvertriebenen auch für Nortorf  eine kaum zu lösende Aufgabe gewesen.

Nach dem Krieg leiteten und arbeiteten im SPD-Ortsvereinsvorstand die Genossen Wilhelm Techam, Hans Dierks, Heinrich Kummler, Hans Weißleder, Kurt Ochlich, Ernst und Albert Zemke, Kurt Hamer, Dieter Schlüter, Ulrich Rohde, Walter Kock und andere bis Anfang der 80er Jahre.

Im Kreistag des Kreises Rendsburg und später des Kreises Rendsburg-Eckernförde waren Nortorfer SPD Mitglieder für ihre Stadt und für die Belange des Kreises als Abgeordnete tätig. Für 9 Monate bis 1946 Hans Dierks, von 46-48 Julius Haupt und Max Mißbach, von 52-56 Werner Wommelsdorf, von 62-74 Willi Mallon, von 64-74 Kurt Hamer, von 74-82 Hans-Detlef Wommelsdorf, von 74-78 Walter Kock. Das Nortorfer SPD Mitglied Kurt Hamer war von 1967 - 1987 Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtages.

Nach Rudolf Georgi und Wilhelm Techam wurde 1970 der Sozialdemokrat Herbert Schütt zum Bürgermeister der Stadt gewählt. Der später gewählte Bürgermeister Kanehl verließ nach der Wiedervereinigung Nortorf und übernahm als Verwaltungschef in Wolgast (ehemalige DDR) Verantwortung.

Nortorf hatte zwar Industrie, war aber kein reiner Industriestandort und somit auch keine SPD Hochburg wie etwa Büdelsdorf, Neumünster oder Kiel.

Die wechselnden Mehrheiten nach Kommunalwahlen spiegeln die SPD Bürgervorsteher wieder. Werner Wommelsdorf vertrat die Stadtverordnetenversammlung 1959 nur kurze Zeit nach dem Rücktritt des gewählten Bürgervorstehers.

Kurt Hamer war von 1959 - 1962 der Repräsentant der Stadt Nortorf und Hans-Detlef Wommelsdorf von 1970 - 1974. Walter Kock, Gertrud Rybka und Max Honisch waren die Vertreter der Selbstverwaltung neben denen des politischen Mitbewerbers ab den 80er Jahren.

Der SPD Ortsverein wählte in den 80er Jahren bis heute 7  Vorsitzende. Neben den beiden Frauen Bianca Oestreich und Marion Marx, Klaus Schuldt, Reiner Groß, Alfred Tiesler, Herbert Bracker und unseren jetzigen Vorsitzenden Jochen Zeutschel.

 Ende der 60er Jahre gab es in der Sozialdemokratie einen Umbruch, junge Leute in der SPD drängten nach vorn. Die Kinder der sozialdemokratischen Eltern übernahmen Führungspositionen. Nicht nur in Nortorf wurde die SPD vermehrt vertreten von Pädagogen, Juristen, leitenden Angestellten. Der Arbeiter im ursprünglichen Sinn geriet in die Minderheit. Ich meine, es war ein natürlicher Wandel, kein Verdrängen, denn die sozialdemokratischen Eltern konnten ihre Kinder risikolos auf höhere Schulen schicken. Der sozialdemokratische Kampf für gleiche Chancen im Bildungsbereich hatte Früchte getragen. Die Eltern waren stolz auf ihre Kinder, die gegenüber den damaligen Bürgerlichen nicht mehr benachteiligt waren.

War dieser Wandel auch der Umbruch der SPD von der reinen Arbeiterpartei hin zur Volkspartei?

Kurt Hamer, wie auch ich und viele mir bekannte Parteifreunde entstammen solchen Arbeiterfamilien. Sie haben die Chancengleichheit im Bildungswesen nutzen können und sind der politischen Überzeugung ihrer Eltern treu geblieben.

Der Wandel in der Politik hatte auch Vorteile. Die SPD lebte auf. Neue Ideen prägten die Diskussion. Die Jugendorganisation unserer Partei, die Jusos, waren eine diskutier- und streitfreudige Gruppe in der SPD geworden.

Kurt Hamer war ein bedeutender Landespolitiker. Anerkannt und geschätzt vom politischen Gegner. Für Landes- und Bundespolitiker war er ein gewichtiger Gesprächspartner. Seinen Verbindungen ist es zu verdanken, daß Politiker wie Herbert Wehner, Helmut Schmidt, Egon Bahr, Hans Apel, Hans-Ulrich Klose, Jochen Steffen, Klaus Mathießen, Björn Engholm, Heide Simonis und Siegfried Lenz als Wählerinitiativenvertreter, mit Vorträgen und Diskussionen Nortorfer Säle füllten.

Die Mitgliederzahlen stiegen in Nortorf auf über 200 an und sie bildeten in dieser Zeit eine eingeschworene Gemeinschaft. Vorstand und Fraktion arbeiteten Hand in Hand.

Kurt Hamer ist ein Glücksfall für die Nortorfer SPD gewesen. Der Kommunalpolitiker Hamer hat an Nortorf′s Weiterentwicklung entscheidend mitgewirkt. Seine Sensibilität für die Belange und Nöte der Bürger war beispielgebend.

Als Ortsvereins- und Kreisvorsitzender hat er sozialdemokratische Landes- und Bundespolitik den Mitmenschen vermittelt. Sein Wort galt etwas, seine Arbeit ist weit über die Grenzen Nortorfs hinaus gewürdigt worden. Die Einrichtung des Nortorfer Skulpturenpark ist sein Verdienst. Die Patenschaft zu Perstorp in Schweden ist durch ihn über die SPD und die SAP zustande gekommen. Er hat uns vielfältige Anregungen gegeben und uns in der politischen Arbeit Mut gemacht.

Je mehr man sich der Gegenwart nähert, desto schwieriger werden die objektiven Betrachtungsweisen. Wir bewerten Dinge subjektiver aus eigener Anschauung und Beurteilung.

In den letzten Jahrzehnten sind in Nortorf Zukunftspläne erstellt und große Bauvorhaben verwirklicht worden. Daran war die SPD maßgeblich beteiligt. Rechtzeitig wies sie auf Mängel und Aufgaben hin, um eine kontinuierliche Entwicklung unseres Gemeinwesens zu sichern. Wir haben uns stets davor gehütet, Zusagen vor Wahlen zu machen, die uns kurzfristige Erfolge bescheren würden.

Unsere Stadt ist ein lebender Organismus. Ihr Weg ist von den Bürgern und Repräsentanten mitbestimmt und mitgestaltet worden. Allerdings auch immer abhängig vom Verlauf der deutschen und schleswig-holsteinischen Geschichte.

Die SPD hat nach dem 2. Weltkrieg Macht und Kraft aufgebracht, die Geschichte dieser Stadt mitzuprägen. Sie hat den Platz, den die Verfassung der SPD zugewiesen hat, verantwortlich wahrgenommen. Die Entwicklung und Leistung der SPD nach den 50er Jahren in der Stadtvertretung und in der Öffentlichkeit ist durch umfangreiche Pressearbeit in den in Nortorf erscheinenden Zeitungen deutlich geworden. Wer sich in Einzelheiten vertiefen will, dem ist die Chronik der SPD Nortorfs zu empfehlen.

Die wechselnden Mehrheiten und knappen Wahlergebnisse zu Gunsten oder Ungunsten der SPD bescheinigen dem Stadtverordnetenkollegium, das ja nicht von Regierung und Opposition geprägt ist, eine positive Bilanz der Fortentwicklung Nortorfs. Die SPD ist sich ihrer staatspolitischen Verantwortung bewußt und wird auch zukünftig zum Wohle der Stadt und ihrer Bürger ihr Engagement einbringen.

Die 100-jährige Geschichte der SPD in Nortorf gibt uns Sozialdemokraten Kraft und Mut, die demokratische Gesellschaft zu festigen, die Parteidemokratie weiter zu entwickeln,  für Gleichheit, Freiheit und soziale Gerechtigkeit einzustehen.

Ich, und nicht nur ich, habe den Wettbewerb unter uns, innerhalb und außerhalb von Wahlkämpfen immer darin gesehen, Lösungsvorschläge deutlich erkennbar zu machen und zu prüfen, ob das, was man ankündigt, sich auch verwirklichen läßt. Ich hoffe und wünsche, daß im Hinblick auf das Wohlergehen unserer Bürger die Kommunalpolitiker ihre Verantwortung erkennen und im Interesse unseres Gemeinwesens handeln. Meine Überzeugung ist, wenn wir die Gedanken der Brüderlichkeit und der Solidarität bewahren wollen, wozu uns sowohl das Christentum als auch die Ideen der Sozialisten auffordern, dann müssen wir den eingeschlagenen Weg weitergehen, mit Bedacht, mit Umsicht und mit Klugheit. Wir dürfen nicht in Extreme verfallen, und wir dürfen einem Pessimismus gegenüber gesellschaftlichen Reformen nicht nachgeben.

 

                                                                    Ich danke Ihnen. 

 
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