SPD Nortorf

Die Nortorfer und die junge Republik

Die Nortorfer und die junge Republik

Während der Kaiserzeit hatte das Dreiklassenwahlrecht den Einzug von Sozialdemokraten in die Nortorfer Stadtverordnetenversammlung und den Stadtrat verhindert. Das neue allgemeine, freie und gleiche Wahlrecht, das erstmals auch die Frauen einschloß, eröffnete völlig neue Möglichkeiten. Bei den ersten Wahlen in Nortorf gewann die SPD 6 Sitze. Mit Margarethe Rehmke zog die erste Frau in die Stadtverordnetenversammlung ein.

 

Margarethe Rehmke (Bildmitte) Familienfoto aus dem Jahre ?
(Foto: G. Zerbin)

Wie sehr die SPD darauf drängte, Verantwortung zu übernehmen, zeigt ein Einspruch gegen die Ratmannwahl Anfang September 1919: „Bei der letzten Ratmannswahl wurde an erster Stelle Kanzleirat Martens und erst an zweiter unser Genosse Georgi gewählt. Diese Reihenfolge ist, wie man uns mitteilt, darauf zurückzuführen, daß viele Arbeiter nicht in die Wählerliste aufgenommen waren, trotzdem der Bürgermeister dem Vorsitzenden unserer Partei erklärt hatte, daß auf Grund der alten Liste gewählt werden sollte.

 

Bürgermeister Rudolf Beyer 1908 - 1931
(Foto: Stadtarchiv Nortorf)

Das ist nicht geschehen, und so war es der unvollständigen Liste wegen Arbeitern, die zehn Jahre und länger am Orte wohnen, nicht möglich, ihr Wahlrecht auszuüben. Die Arbeiterschaft muß großen Wert darauf legen, daß ihr Vertreter als erster Ratmann gewählt wird, da dieser auch die Vertretung des Bürgermeisters zu übernehmen hat. Sie wird deshalb unter allen Umständen verlangen, daß die Wahl beanstandet wird." (VZ vom 06.09.1919)

Die Entwicklung der Mitgliederzahlen scheint für die Nortorfer SPD in dieser Zeit durchaus erfreulich gewesen zu sein. Im Januar 1921 vermeldete man „10 Genossen bezw. Genossinnen aufgenommen, dank fleißiger Agitation einzelner Mitglieder." Unter den Aufgenommenen befanden sich einige Mitglieder der USPD, „die nunmehr hier am Orte ihr Ende gefunden haben dürfte." (VZ 15.01.1921)

 

Auszug aus dem Bericht des Kreisvorstandes für den Zeitraum 1917 - 1918
(Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn)

Der Nortorfer Ortsverein betätigte sich auch als „Geburtshelfer" in den Nachbargemeinden. So gründeten am 24. Januar 1921 in Timmaspe 30 Sozialdemokraten einen neuer Ortsverein, am 28. Januar in Kleinvollstedt waren es sogar 100. Die Arbeitervereine erfreuten sich weiterhin großer Beliebtheit. Am 1. Mai 1921 schien die Welt in Ordnung: „Die gestrige Maifeier, verbunden mit Bannerweihe, gestaltete sich zu einer wuchtigen Kundgebung für die Sozialdemokratische Partei. Nach einem Prolog hielt Genosse Pfaff-Klein-Vollstedt eine wirkungsvolle Weiherede. Nach dem Umzug mit dem neuen Banner durch den Ort hielt Genosse Lehrer Rickers-Kiel im Garten des Schützenhofes ein treffliches Referat über Entstehung und Bedeutung des Proletarier-Feiertages. Die Mitwirkung der Arbeiter-Turn-, Gesang- und Radfahrervereine, sowie des Klubs ‚Gemütlichkeit′ und des Dilettantenverein war ein neuer Beweis der Solidarität unter der hiesigen Arbeiterschaft. Auch die Landbevölkerung nahm zahlreich an der Feier teil." (VZ 04.05.1921)

Ebenfalls im Jahre 1921 gründeten die Nortorfer eine Jugendorganisation. Die Initiative  ging von der Kieler Organisation aus, die im Mai einen Unterhaltungsabend veranstaltet hatte: „Der von der Kieler Jugendorganisation am Sonnabend im Schützenhof veranstaltete Unterhaltungsabend nahm einen guten Verlauf. Etwa 50 Kieler Jungen und Mädels hatten die Bahn bis Bordesholm benutzt und waren zu Fuß nach hier gewandert. Gegen 9 Uhr trafen sie, vom Trommler- und Pfeiferchor der Freien Turnerschaft in Empfang genommen, hier ein. Der Abend wurde eingeleitet mit zwei Liedern, vom Gesangverein ‚Vorwärts‘ zu Gehör gebracht. Musikvorträge, Gesangs-vorträge und Rezitationen wechselten in bunter Reihe mit einander ab. Genosse Kuklinski hielt einen Vortrag über die Aufgaben der Jugendorganisation und schloß mit dem Appell an die Nortorfer Jugend, auch hier eine Organisation zu gründen. Dem Vortrag folgten Volkstänze nach den Klängen der Mandoline und Spiele und brachten die rechte Begeisterung in den Reihen der hiesigen Jugend. Zahlreiche Anmeldungen von Jungens und Mädels erfolgten und soll am Freitagabend die Gründung einer Jugendorganisation erfolgen. Alle Jugendlichen, die bereit sind, sich dieser anzuschließen, mögen sich um 8 Uhr in Krohns Gasthof einfinden. (VZ v. 27.05.1921)

Doch die Feinde der jungen deutschen Demokratie formierten sich auch in Nortorf. Bereits im Vorfeld der Reichstagswahlen war es zur Gründung einer Ortsgruppe der Deutschnationalen Volkspartei DNVP gekommen: „Die Deutschnationalen sind eifrig am Werke, die alte reaktionäre Herrschaft wieder aufzurichten. In neuerer Zeit verlegen sie ihr Tätigkeitsfeld besonders auf das flache Land und in die kleinen Landstädte. Überall versuchen sie Ortsgruppen der Deutschnationalen Partei zu gründen. Auch in unserem Landstädtchen erschienen sie auf dem Plan. Die Ausbeute war hier allerdings nicht besonders groß. Zu einer von ihnen einberufenen öffentlichen Volksversammlung waren etwa 70 Personen erschienen. Gleich zwei Referenten wurden auf das ‚Volk′ losgelassen. ... Nach den Redeergüssen der beiden Herren wurde eine Ortsgruppe gegründet, der sich etwa 20 Personen aus den Reihen der Versammelten anschlossen." (VZ vom 31.01.1920) Die DNVP war das Sammelbecken der konservativen und reaktionären Kräfte. Sie bekannte sich zur Monarchie und forderte ein „starkes deutsches Volkstum" und war damit von Beginn an eine Gegnerin der neuen deutschen Demokratie.

Am 26. August 1921 fiel der Zentrumsabgeordnete und frühere Reichsfinanzminister Matthias Erzberger einem politischen Attentat zum Opfer. Die Täter waren Mitglieder eines rechts-radikalen Geheimbundes. Dem Mord war eine lange Hetzkampagne vorangegangen, in der Erzberger wegen seiner Befürwortung des Versailler Vertrages als „Vaterlandsverräter" beschimpft worden war. Besonders der DNVP-Abgeordnete Helfferich tat sich dabei hervor. Reichspräsident Ebert, der das Attentat als Angriff auf die Republik mit unabsehbaren Folgen für die innere Sicherheit wertete, verhängte den Ausnahmezustand. Überall im Reich fanden Kundgebungen für die Republik statt, am 1. September auch in Nortorf. Die Volkszeitung berichtete: „Gegen den Meuchelmord, gegen die Reaktion, für die Republik! Unter dieser Parole fand am Mittwochabend 5 Uhr eine gewaltige Demonstration statt. Alle Arbeiter der Fabriken fanden sich geschlossen auf dem Marktplatz ein, von wo sich ein Demonstrationszug, voran die Nortorfer Stadtkapelle, durch die Stadt mit Fahnen der Arbeiterschaft bewegte, wie ihn die Reaktion am Orte selten zu Gesicht bekam. Wieder auf dem Marktplatz versammelt, schilderte Genosse Pfaff-Kl.-Vollstedt vor der immer noch anwachsenden Masse mit wuchtigen Worten das Treiben der Reaktion. Mit lebhaftem Beifall und einem Hoch auf die Republik, für den Sozialismus und die Internationale wurde das Referat beendet. Folgende Resolution fand einstimmige Annahme: ‚Die zahlreich erschienenen Proletarier und Verfechter der Republik verlangen von der Regierung und den Führern der sozialistischen Parteien, daß sie nun restlos mit dem Treiben der reaktionären Kaste aufräumen und die Republik auf sicheren Boden stellen. Wir erklären, fest zur Republik zu stehen.′" (VZ 03.09.1921)

Daß es in Nortorf auch Kräfte gab, die nicht so dachten, wird deutlich am Ablauf der „Nortorfer Flaggenaffäre" im September 1922. Worum ging es da? Am 2. September sollte in Nortorf der Provinzialfeuerwehrverbandstag beginnen und wie immer bei solchen Veranstaltungen prangte der Ort in reichem Flaggen-schmuck. Viele Nortorfer brachten nun ihre politische Überzeugung zum Ausdruck, indem sie nicht die schwarz-rot-goldene Flagge der Republik, sondern die schwarz-weiß-rote des untergegangenen Kaiserreichs aufzogen. Am Nachmittag des 2. September, also kurz vor dem offiziellen Beginn des Feste, verbot der Oberpräsident Kürbis „wegen unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit" die Beflaggung mit Schwarz-Weiß-Rot. Die Polizeibehörde in Person des stellvertretenden Nortorfer Bürgermeisters, des Sozialdemokraten Georgi, veranlaßte daher am folgenden Tag das Einziehen der besagten Flaggen. Damit hätte die Angelegen-heit eigentlich erledigt sein können, wenn nicht die bürgerliche Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung sie auf die Tagesordnung gebracht hätte. Im Protokoll der Sitzung vom

14. September 1922 heißt es zum Tagesordnungspunkt 3 „Erörterung des Flaggenverbots am 2., 3. und 4. September": „Die Versammlung mißbilligt die Amtsführung des stellvertretenden Bürgermeisters anläßlich des Provinzialfeuerwehrtages und führt Beschwerde über die Amtsführung des stellvertretenden Bürgermeisters beim Regierungspräsidenten in Schleswig. Es soll Strafantrag gegen den Stadtverordneten Bader bei der Oberstaatsanwaltschaft in Kiel wegen seiner aufreizenden Handlungen gestellt werden. Es soll Beschwerde über den Oberpräsidenten beim Gesamtministerium eingelegt werden, weil er das Verbot unter Nichtachtung des hierfür zu-ständigen Regierungspräsidenten anordnete und die strikte Durchführung verlangte und weil das Verbot auch ungesetzlich war." Gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Abgeordneten wurden die Beschlüsse gefaßt und eine Redaktionskommission zur Abfassung der Beschwerden gebildet.

Dazu schrieb die Volkszeitung am 21. September: „Ausgerechnet die Herren Weiland und Brodersen sind Mitglieder dieser hochnotpeinlichen Kommission. Ob diese Herren als geeignet anzusehen sind, über andere Personen Schriftsätze auszuarbeiten, wird die Abwickelung der Angelegenheit ergeben. Jedenfalls kann schon jetzt gesagt werden, daß die Herren Weiland und Brodersen zu denjenigen gehören, die trotz mehrfacher Aufforderung der Amtspersonen sich geweigert haben, den Anordnungen des stellvertretenden Bürgermeisters nachzukommen. Brodersen gab der Bürgerschaft sogar das denkbar schlechteste Beispiel. Er forderte den Widerstand der Bürgerschaft gegen die Anordnung des Bürgermeisters dadurch heraus, daß er, trotzdem er am Abend vorher sowohl durch den Bürgermeister als auch durch den Landrat dringend gebeten wurde, in den Kreisen der Bürgerschaft dahin zu wirken, daß dem ergangenen Verbot nachgekommen und somit jede weitere Zuspitzung des Konflikt vermieden würde, seine eigene Fahne nicht beseitigte und dadurch die Behörde zur Beschlagnahme der Fahne zwang. Herr Weiland glaubte sich nicht nur über das Verbot hinwegsetzen zu können, sondern die Polizeibehörde auch noch lächerlich machen zu müssen, indem er seine Fahne mehrere Male zum Gaudium der angesammelten Menge hin- und herschwenkte, als er sah, daß die Polizeibeamten Anstalten machten, seine Fahne ebenfalls mit Beschlag zu belegen."

Die „Nortorfer Flaggenaffäre" beschäftigte sogar Berlin, als der schleswig-holsteinische Volkspartei-Abgeordnete Dr. Görck eine kleine Anfrage an die preußische Staatsregierung richtete. Das Innenministerium bejahte die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Verbots und begründete dies wie folgt: „Zum Verständnis der Maßnahme muß auf folgende Vorgänge zurückgegriffen werden. In Nortorf besteht seit längerer Zeit Streit zwischen dem Männer-Turnverein und der aus Arbeitern bestehenden Freien Turnerschaft wegen Überlassung der einzigen am Orte vorhandenen Turnhalle. Etwa gegen Pfingsten 1922 führten diese Gegensätze zu einer Kundgebung bei Gelegenheit einer Veranstaltung der Freien Turnerschaft. Etwa 3000 aus allen Teilen der Provinz in Nortorf versammelten Arbeiterturner demonstrierten für die Überlassung der Turnhalle an einigen Stunden in der Woche und bei dieser Gelegenheit zugleich gegen einige in Nortorf gehißte schwarz-weiß-rote Fahnen, die von den Besitzern zur Vermeidung gewaltsamer Beseitigung rechtzeitig entfernt wurden. Kurz nach der Ermordung des Ministers Rathenau fand eine Tierschau in Nortorf statt, wobei ein Teil der Bevölkerung gegen die wiederum beabsichtigte Beflaggung mit schwarz-weiß-roten Fahnen Widerspruch erhob. Damals gelang es, den Streitfall durch Vereinbarungen zwischen einem Teil der Bevölkerung und dem Ortsausschuß des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes beizulegen. Am 2., 3. und 4. September 1922 wurde in Nortorf das Provinzial-Feuerwehrfest abgehalten. Bei dieser Gelegenheit veranstaltete ein Teil der Bevölkerung erhebliche Propaganda für eine ausgiebige Beflaggung in den Farben schwarz-weiß-rot, wodurch die bestehenden Gegensätze verschärft wurden. Die Verhältnisse spitzten sich infolgedessen so zu, daß eine mit anderen Mitteln nicht zu beseitigende Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit als unmittelbar bevorstehend angesehen wurde. Darum erging das Flaggenverbot." (VZ vom 17.11.1922)

Wie im gesamten Reich standen sich also auch in Nortorf Befürworter und Gegner der jungen deutschen Republik unversöhnlich gegenüber. Im weiteren Verlauf der 20er und 30er Jahre - vor allem nach dem Auftauchen der NSDAP -  sollten sich diese Konflikte, die schließlich zum Untergang der ersten Demokratie auf deutschem Boden führten, noch verschärfen. 

 
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