SPD Nortorf

Der Kampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen

Der Kampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen

Der neu gegründete sozialdemokratische Ortsverein versuchte durch Agitation ein solidarisches Bewußtsein unter den Arbeitern zu erzeugen - mit mehr oder weniger großem Erfolg. So berichtete die Volkszeitung am 19. September 1907 von einer Versammlung: „In einer öffentlichen Volksversammlung, die von ca. 50 Personen besucht war, referierte am Sonntagabend der Genosse Fritz Borgert-Hamburg über das Thema: ‚Die Lage der arbeitenden Klassen und wie heben wir sie?? Der Referent verglich zunächst die Lage der deutschen Arbeiter mit der der Arbeiter in anderen Kulturstaaten und wies statistisch nach, daß der deutsche Arbeiter hinter seinen auswärtigen Arbeitsgenossen weit zurücksteht. Überaus traurig ist vor allem die Lage der deutschen Landarbeiter. Der Redner ging dann mit der Gleichgültigkeit der Nortorfer Lederarbeiter scharf ins Gericht. Die miserable Lebenshaltung der Arbeiter müsse diese zwingen, durch Zusammenschluß, d.h.  durch die Organisation, ihre Lebenslage zu verbessern."

Die Arbeitsbedingungen in den Nortorfer Betrieben waren immer wieder Gegenstand der Diskussion. Bereits am 19. September 1905 hatte die Volkszeitung nach einem Unfall im Dampfsägewerk Rohwer die Frage nach besserem Arbeitsschutz aufgeworfen: „Der Arbeiter H. Sell geriet mit der Hand in die Säge. Der Bedauernswerte hat mehrere Finger verloren. In dem genannten Betrieb sind leider recht häufig derartige oder ähnliche Unfälle zu verzeichnen. Ob das mit den vorhandenen Schutzvorrichtungen zusammenhängt?" Ebenfalls mehrere Finger verlor ein Arbeiter der Lederfabrik Böhme im Jahre 1907. Sie wurden von einem abrutschenden Walkfaß abgequetscht. Die Arbeit in der Gerberei war auch aus anderen Gründen nicht ungefährlich. Die Auswirkungen der Farben und Chemikalien auf den menschlichen Organismus waren weitgehend unbekannt. Trotzdem mußten die Arbeiter ihr Frühstück in unmittelbarer Nähe einnehmen. Der Umgang mit den ungegerbten Häuten führte außerdem immer wieder zu Milzbrandausbrüchen. War die gefährliche Krankheit glücklich überstanden, konnte es einem durchaus gehen wie dem Arbeiter Krüger. Als er 1914 wieder an seinen alten Arbeitsplatz in der Lederfabrik von Loges & Rasmussen zurückkehren wollte, hieß es, „es ist alles besetzt, und zumal sie, der mit dem Milzbrand so leicht behaftet ist, können wir nicht gebrauchen." (VZ 11/07/1914)

 

Die Sägerei der Firma J. Rohwer & Comp.
(Foto: Stadtarchiv Nortorf)

Die Gefährdung der Arbeiter war jedoch nicht nur auf Nachlässigkeit von Unternehmerseite zurückzuführen. Eine bedeutendere Rolle spielte die Gewinnmaximierung, wie die Volkszeitung anläßlich eines weiteren Unfalls in der Lederfabrik Böhme am 1. Dezember 1908 vermutete: „Eine an der Plättmaschine beschäftigte Frau kam mit der rechten Hand zwischen die Bügeleisen und quetschte sich vier Finger. Die Bedauernswerte war Montag erst eingestellt worden, um Nachtschichten zu machen. Wenn es jetzt wirklich so eilig mit der Arbeit sein sollte, daß nachts gearbeitet werden muß, dann wäre es doch besser, an Stelle einer Frau einen Mann einzustellen. Arbeitslose gibt es doch jetzt genug, aber ein Mann würde natürlich einige Groschen mehr Lohn verlangen als die Frau. Ist es überhaupt statthaft, nachts Frauen zu beschäftigen und noch dazu an einer so gefährlichen Maschine? Wären die hiesigen Gerbereiarbeiter besser organisiert, könnten sie geschlossen vorgehen und die ewige Nachtarbeiterei aus der Welt schaffen. Aber leider stehen noch sehr viele der Organisation fern."

Unermüdlich warb der sozialdemokratische Ortsverein für den Eintritt in Gewerkschaften und Arbeitsnehmerverbände. Erfolge im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne wurden ausführlich in der Volkszeitung gewürdigt, wie z.B. im Juli 1914: „Ein Beweis, daß auch in kleineren Orten die Lage der Arbeiterklasse verbessert werden kann, liefert eine Lohnbewegung der im Holzarbeiterverband organisierten Tischler am Orte. Nachdem bis dato die Meister die Arbeitsbedingungen nach ihrem Ermessen festsetzten, ist jetzt mit Hilfe der Organisation ein Vertrag abgeschlossen, wonach die Arbeitszeit am 1. Januar 1915 von 10 auf 9 1/2 Stunden pro Tag verkürzt wird. Neben Festsetzung eines Mindestlohnes von 50 Pfg. pro Stunde sofort und 53 Pfg. pro Stunde am 1. Juni 1915, erhalten sämtliche beschäftigte Tischler einen Aufschlag von 3 Pfg. sofort und weitere 2 Pfg. am 1. Juni 1915. Dieser Erfolg war nur möglich durch die geschlossenen Organisation aller Beteiligten. Jetzt heißt es auch für die noch unorganisierten Sägereiarbeiter: Hinein in den Deutschen Holzarbeiterverband, wenn Ihr Eure elende Lage verbessern wollt. Einen Beweis, daß es möglich ist, liefern Euch Eure Arbeitskollegen."

Doch nicht jeder Arbeiter war ohne Weiteres zu überzeugen, wie folgenden Geschichte aus dem Jahre 1911 zeigt: „Im Laufe der verflossenen Woche hatte der Zimmermeister und Sägereibesitzer Greve seinen Geburtstag. Was er noch nie getan hatte, geschah diesmal: er zog die Spendierhosen an und feierte mit seinen Gesellen und Arbeitern den Geburtstag. Auch nach Feierabend wurde in der Frühstücksstube, die sich in der Sägerei befindet, das Trinken fortgesetzt. Drei organisierte Arbeiter suchten bei dieser Gelegenheit die noch Fernstehenden über Zweck und Ziel der Organisation aufzuklären. Da kamen sie aber schön an. Der eine Arbeiter,

Cl. Harder ist sein Name, hatte nichts eiligeres zu tun, als das Geburtstagskind zu holen und über das „Verbrechen" der drei Sünder zu berichten. Herr Greve kam auch und sagte angeblich: Schmeißt mir die organisierten Kerls raus! Im Nu wurden sie von ihren lieben „Auchkollegen" überfallen und fürchterlich verhauen. Ja, sogar der Vater von zwei Organisierten, der Arbeiter Kößling, schlug feste mit auf seine Söhne los, wobei er von Halunken, erschießen und erstechen sprach. Der Alkohol hatte den furor teutonicus bei diesen Aucharbeitern erweckt und um ev[entuell] in noch besserer Gunst bei ihrem „Brotgeber" zu stehen, gebärdeten sie sich wie die Wilden. Wenn Herr Greve durch seinen Freitrunk erfahren wollte, wie tief „seine" Arbeiter gesunken sind, so hat er es deutlich erfahren. Das nächste Mal braucht er seinen Geburtstag nicht wieder feiern. Er hat es allerdings auch nicht nötig, denn nicht alle Jahre wird eine Filiale des Holzarbeiterverbandes gegründet, wie es dies Jahr der Fall war. Da braucht man auch nicht immer spendabel zu sein."  [VZ vom 19.07.1911]

Es läßt sich darüber streiten, ob es taktisch klug war, gerade die Geburtstagsfeier des Chefs für die Gewerkschaftsagitation zu nutzen. Die Geschichte zeigt jedoch, daß sich bei den Nortorfer Arbeitern ein bedauerlicher Mangel an Eifer feststellen ließ, wenn es um politische und gewerkschaftliche Arbeit ging oder auch nur um das Abonnement der Volkszeitung, So kam nicht einmal die Gründung eines Spar- und Bauvereins nicht zu Stande, weil zur Versammlung nicht genug Interessenten erschienen. Die Volkszeitung beklagte: „Bezeichnend für die Arbeiter Nortorfs ist es, daß bei der Gründung eines Vergnügungsvereins sofort eine Menge Mitglieder vorhanden waren, aber das Interesse für gemeinnützige Ziele zu wecken, fällt sehr schwer." (VZ vom 19.03.1908) Ging es also um Freizeitgestaltung, Geselligkeit und Sport, waren die Nortorfer sehr wohl zu begeistern.

 

 

VZ v. 12.07.1906 und 18.07.1912

 

 

 

VZ vom 01.05.1912 und 11.11.1921

 

 

VZ vom 13.07.1920

 
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