SPD Nortorf

Sozialdemokraten und Bürgerliche in Nortorf um 1900

Sozialdemokraten und Bürgerliche in Nortorf um 1900

Nicht nur Sängerfeste nutzten die Mitglieder der Arbeiterbewegung zur Kontaktpflege und zu politischen Kundgebungen. Beerdigungen boten auch eine willkommene Gelegenheit, „Flagge zu zeigen". Am Silvestertag 1890 druckte der Holsteinische Courier folgenden Bericht der Nortorfer Zeitung nach: „Am zweiten Weihnachtstage fand die Beerdigung des so jäh aus dem Leben geschiedenen Schuhmachers Schmitt aus Thienbüttel statt und gestaltete sich die Feier, da der Verstorbene ein eifriger Kämpfer für die Sozialdemokratie war, zu einer noch nicht gesehenen Demonstration. Aus mehreren Städten und Ortschaften der Provinz, als Schleswig, Rendsburg, Neumünster, Kiel, Gaarden, Ellerbek, Wellingdorf und Dietrichsdorf, waren Vertreter erschienen, so daß das Gefolge ein recht stattliches war; es mochte nach oberflächlicher Schätzung etwa 250 Personen zählen. Die Delegirten, welche sämmtlich rothe Schleifen trugen, legten am Grabe werthvolle Kränze, theils mit rothen, zum Theil mit weißen Bändern unter entsprechenden Ansprachen nieder. Der Vertreter des Arbeitervereins aus Neumünster, welcher Verein eine Fahne mitführte, hielt eine längere Rede, die jedoch unter mehrfacher Wiederholung nur in schwachen Umrissen die Ziele der Sozialdemokratie erkennen ließ. Nachdem nun noch die übrigen Delegationen unter kurzen Worten namens ihrer Vereine dem Todten ihren Kranz gespendet hatten, legte der Vertreter der Nortorfer Gesinnungsgenossen, ein Bäckermeister aus Neumünster, mit Worten, die auf geweihter Erde keinen guten Klang hatten und unter den zahlreich Anwesenden allgemeine Entrüstung hervorriefen, einen Kranz nieder. Der Sprecher konnte nicht umhin, zum Schluß der Feier, die bis dahin in jeder Beziehung nicht unwürdig zu nennen war, einen Trumpf auszuspielen, und in krassen Worten seiner Meinung als Atheist Ausdruck zu geben. Ein Verein sang noch das in einem sozialistischen Sinn umgeänderte Lied: „Brüder, reicht die Hand zum Bunde". Wir wollen die Frage offen lassen, ob wirkliche Bruderliebe die so zahlreich erschienenen, auswärtigen Gesinnungsgenossen an die Bahre des Verunglückten geführt hat oder ob die Bestattung propagandistischen Zwecken dienen sollte. Wenn dies der Fall ist, so mag die Rede des Delegirten aus Neumünster wenig dazu beigetragen haben, der Sache Freunde zuzuführen."

Der Grundton des Berichts zeugt nicht von arbeiterfreundlicher Einstellung der Nortorfer Zeitung und ihres Herausgebers Hermann Braun. Der SPD-Ortsverein sollte noch den einen oder anderen Strauß mit dem Lokalblatt auszufechten haben. Doch davon etwas später! Noch gab es keinen Ortsverein, was die Sozialdemokraten aber nicht davon abhielt, für die Bewegung zu werben. Für den 7. Februar 1891 wurde eine Volksversammlung einberufen, die aber einen völlig unerwarteten Verlauf nahm. Der Holsteinische Courier berichtete:

„Im „Schützenhofe" fand gestern wiederum eine Volksversammlung statt, zu welcher sich auch diesmal eine große Anzahl Theilnehmer eingefunden hatte. Eröffnet wurde die Versammlung durch den Einberufer, Herrn Werner-Nortorf. In das Büreau wurden gewählt die Herren Dr. Prager, Redakteur Metzger-Kiel und Lehrer Hoop; die Leitung befand sich mithin in Händen von Gegnern der Sozialdemokratie. Dies war schon eine bittere Enttäuschung im sozialistischen Lager. Nachdem nun Herr Dr. Prager die Versammlung eröffnet, zeigte sich, daß ein Referent, Herr Koenen-Hamburg, nicht erschienen war und mußte daher Punkt 1: „Das Alters- und Invaliditätsversicherungsgesetz" von der Tagesordnung abgesetzt werden. Sodann erstattete Herr Schaur-Neumünster über den Parteitag in Neumünster Bericht, an welchen sich eine lebhafte Diskussion schloß. Zunächst ergriff Herr Redakteur Metzger das Wort zu einer längeren Erwiderung und brachte schließlich folgenden Antrag ein: ‚Die am 8. Februar in Nortorf tagende Versammlung hält treu zu ihren alten Führern, von denen sie weiß, daß sie die alten mit Gut und Blut erkämpften Rechte treu zu bewahren wissen.′ Der Antrag wurde mit großer Majoriät angenommen. An der weiteren Debatte betheiligten sich noch die Herren Stüben-Neumünster, Dr. Prager, Schaur-Neumünster. Infolge der weitschweifigen Ausführungen des ersteren Herren sah der Vorsitzende sich veranlaßt, beschränkte Redefreiheit eintreten zu lassen. Auch diese Maßregel wurde seitens der einberufenden Partei ungnädig aufgenommen und die Anhänger machten bereits Miene, das Lokal zu verlassen. - Herr Kaufmann Röschmann führte noch aus, daß die Leitung der hiesigen Sozialdemokratie zum Theil aus Elementen bestände, die der Partei nur wenig zur Ehre gereichten. - Herr Redakteur Metzger-Kiel empfiehlt, vom Standpunkt der freisinnigen Partei aus die Sozialdemokratie mit aller Macht zu bekämpfen und den in Neumünster tagenden Provinzial-Parteitag des 7. Wahlkreises durch Abgeordnete zu beschicken. Herr Kaufmann Röschmann wünscht, daß alle Ordnungsparteien sich zusammenrotten sollen, um durch Gründung eines „Vereins zur Bekämpfung der Sozialdemokratie" letzterer den Boden zu entziehen. Dies geschieht und wurden in den provisorischen Vorstand gewählt die Herren Bürgermeister Rohardt, Lehrer Hoop, Dr. Prager, Kaufmann Röschmann, Kaufmann H. Sindt und Malermeister Aurich. Mit einem Hoch auf S[eine] Majestät den Kaiser schloß der Vorsitzende die Volksversammlung.

Das Nortorfer Bürgertum fühlte sich also vom wachsenden Selbstbewußtsein der Arbeiterschaft bedroht und reagierte typisch deutsch: mit einer Vereinsgründung. Dieser Schritt rief sogar überregionales Interesse hervor, wie folgender Bericht aus dem Hamburgischen Correspondenzblatt vom 18. Februar 1891 zeigt:

„An anderer Stelle dieses Blattes ist mitgetheilt worden, wie die socialistische Parteileitung sich mit Eifer an die Agitation auf dem flachen Lande heranmacht. (...) Obgleich die Agitationen im Großen und Ganzen wenigstens hier im Norden des Reiches nur geringe Erfolge erzielen, so hat man sich in den staatserhaltenden Kreisen doch mancherorts veranlaßt gesehen, Gegenmaßregeln zu ergreifen. Unter Anderem ist dies in Nortorf in Holstein geschehen. Dort hat am letzten Sonntag die Gründung eines Vereins stattgefunden, der die socialistische Agitation, die auch in der dortigen Gegend betrieben wird, bekämpfen will. Dem Verein traten sofort 180 Personen, worunter viele Handwerkergesellen, Arbeiter jeder Art, Dienstknechte [usw.], bei. Zum Vorsitzenden des neuen Vereins wurde Dr. Prager gewählt. Gemäß einer Bestimmung des Statuts, nach welcher im Vorstande möglichst alle Stände vertreten sein sollen, wurden noch 12 weitere Herren, unter denen mehrere Arbeitnehmer, in den weiteren Vorstand gewählt. Aus dem zur Annahme gelangten Statut heben wir folgende Punkte hervor: Mitglied kann jeder unbescholtene Mann werden, der das 20. Lebensjahr vollendet hat. Der Jahresbeitrag, der nach Bedarf vierteljährlich erhoben wird, beträgt 1 M[ark]. Erforderlichenfalls findet monatlich eine Versammlung statt. Gelegentlich der Durchberathung der Satzungen des Verein wurde eine Stimme aus der Versammlung dahin laut, daß die Bestrebungen der Socialdemokratie an dem gesunden Sinn der einheimischen Landbevölkerung ohnehin scheitern würden, und daß es nicht gerathen sei, Gegensätze hervorzuheben, die auf dem Lande nicht beständen. Dem gegenüber wurde von anderer Seite betont, daß die Apostel der socialdemokratischen Lehre allsonntäglich von Nortorf aus über Land zögen, um auch dort die Saat der Unzufriedenheit zu säen, da heißt es ‚vorbeugen′ und nicht erst den Brunnen zudecken wollen, wenn das Kind schon ertrunken. Die Versammlung machte letztere Ansicht zu der ihrigen und wählte für jedes Dorf des Kirchspiels einen Obmann, der im Geiste und Sinne dieses Vereins dort wirke und Mitglieder für denselben sammle."

Der Verein, über dessen Arbeit und weiteres Schicksal wir leider nichts wissen, richtete sich also vor allem gegen die Agitation bei Landarbeitern und Handwerksgesellen in Nortorf und den umliegenden Dörfern. Eine nennenswerte Industriearbeiterschaft gab es noch nicht. Das sollte sich aber bald ändern. 

 
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