SPD Nortorf

Deutschland wird Republik

Deutschland wird Republik

Die Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg und die daran anschließende Revolution fegten die alten Herrschaftsstrukturen hinweg. Im Oktober 1918, als sich die militärische Niederlage für das Deutsche Reich und seine Verbündeten bereits abzeichnete, meuterten die Matrosen der Hochseeflotte, die in der Kieler Förde lagen. Gerüchte waren aufgetaucht, daß sie zu einer letzten heroischen - und völlig sinnlosen - Fahrt auslaufen sollten, um die Ehre der Marine zu retten. Anfang November griffen die Unruhen auf andere Städte über. Der Kaiser dankte ab und floh ins holländische Exil, und in Berlin wurden im Abstand von wenigen Stunden zwei sehr unterschiedliche deutsche Republiken ausgerufen: Der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Philipp Scheidemann verkündete eine parlamentarische Demokratie, und Karl Liebknecht proklamierte vor dem Berliner Schloß die freie sozialistische Republik nach sowjetischem Vorbild. Niemand wußte zu diesem Zeitpunkt, welchen Weg Deutschland nehmen würde.

Unterdessen wurden im ganzen Land Arbeiter-, Soldaten- und  Bauernräte gebildet. Die Nortorfer Stadtverordnetenversammlung beschloß am 6. Dezember 1918 in einer „Stellungnahme zu einem Antrage des Arbeiterrates auf Einwirkung auf die Stadtverordnetenbeschlüsse, ... zu den Stadtverordnetensitzungen zwei Mitglieder des Arbeiterrats mit beratender Stimme zuzulassen." So erschienen zur nächsten Sitzung „als Mitglieder des Arbeiterrats: Lagerhalter Riecken und Holzpantoffelmacher Jens Bahns." Die Arbeiter- und Bauernräte erfüllten nicht in erster Linie politische, sondern wirtschaftliche Aufgaben. Sie sollten die Behörden bei der Erfassung der vorhandenen Lebensmittel, der Bekämpfung des Schleichhandels und bei der Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung unterstützen. Bei eben dieser Arbeit treffen wir den Nortorfer Arbeiterrat in einem Bericht der Volkszeitung vom 2. Mai 1919 unter der Überschrift „Einer, der noch nicht darbt": „Wie leicht es einem Fabrikbesitzer fällt, noch ebenso wie in Friedenszeiten zu leben, beweist eine Haussuchung, die der hiesige Arbeiterrat in Begleitung des hier stationierten Gendarmerie-Wachtmeisters beim Fabrikbesitzer Michelsen im benachbarten Torfwerk Schülp vornahm. Gefunden wurden auf dem Balkon der Villa etwa 50 Pfund frisches Rind- und Kalbfleisch, 1/2 Tonne Salzheringe, 50 Pfund Rindpökelfleisch; in der Räucherkammer drei Schinken, verschiedene Würste und Speck, acht Zentner Weizen, eine Kiste mit 30 Pfund Wurst, 150 Pfund Weizenmehl, 100 Pfund Roggenmehl, drei Sack Kaffeeersatz, 100 Pfund Kartoffelgrieß, 100 Pfund Gemüsemehl; ferner auf dem Boden: 100 Pfund Weizen, 10 Zentner Buchweizen, 200 Pfund Roggen, 200 Pfund Erbsen. Im Keller fand man 250 Pfund Rindpökelfleisch und 50 Pfund Schweinefleisch. ... Die Waren dürften jedenfalls auf Schleichwegen und für gutes Geld erworben worden sein." Eine besonders pikante Note erhielt die Entdeckung durch die Tatsache, daß sich die Arbeiter des Torfwerkes zu diesem Zeitpunkt im Streik befanden, weil der Besitzer ihren Lohnforderungen nicht nachkommen zu können glaubte. Anscheinend waren diese für die magere Zeit geradezu enormen Lebensmittelmengen als Verpflegung für  aus Hamburg erwartete Arbeiter vorgesehen, die als Streikbrecher eingesetzt werden sollten.

Die deutsche Arbeiterschaft war zu dieser Zeit in mehrere Gruppierungen gespalten. Links von der SPD gab es die Anfang 1919 gegründete Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), die sich 1917 von der SPD abgespalten hatte und sich nicht zur parlamentarischen Demokratie bekannte. Sie strebte wie die KPD ein Rätesystem nach dem Vorbild der Sowjetunion an, in dem weisungsgebundene Delegierte gewählt werden sollten, die jederzeit abrufbar sein sollten. Auch in Nortorf versuchte diese Partei, Mitglieder zu gewinnen: „Die Unabhängigen hatten hier eine Versammlung einberufen, um auch in unserem Ort ihre Drachensaat auszustreuen. In wieweit ihnen das gelungen ist, wissen wir nicht. Der Redner Hansen-Kiel erging sich wie überall in wüstem Geschimpfe auf die Regierung und unsere Genossen. In wirksamer Weise trat ihm Genosse Jürs-Neumünster entgegen und geißelte scharf, daß die U.S.P. immer und immer wieder versuche, Uneinigkeit in die Reihen der Arbeiterschaft zu tragen, statt das Einigende zu suchen. ... In seinem Schlußwort wurde Hansen derart unerträglich, daß ein großer Teil der Anwesenden den Saal verließ." (VZ vom 18.06.1919) Bei der weiteren Auseinandersetzung um die zukünftige Staatsform zeigte sich dann, daß die im ganzen Reich gebildeten Räte - auch die der Arbeiter - den marxistischen Weg nicht mitgingen. 80 Prozent der Bevölkerung beteiligten sich an den ersten allgemeinen, freien Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919, die überraschenderweise zu einer ähnlichen Sitzverteilung führten wie im gerade beseitigten kaiserlichen Landtag. Die Nationalversammlung trat dann in Weimar zusammen und die dort ausgearbeitete Verfassung, die Deutschland zu einer parlamentarischen Demokratie machte, gab der Zeit zwischen 1919 und 1933 ihren Namen: die „Weimarer Republik".

Diese Entwicklung wurde nicht von allen Teilen der deutschen Bevölkerung begrüßt. Der als „Kapp-Putsch" bekannte Umsturzversuch rechter Politiker und Militärs im März 1920 zeigte, daß große Teile der Verwaltung, der Justiz und der Polizei der Republik nach wie vor ablehnend gegenüberstanden. Doch der Putsch scheiterte am sofort ausbrechen- den Generalstreik. Ohne die Streikaufrufe der Partei- und Gewerkschaftszentralen abzuwarten, legten Hunderttausende ihre Arbeit nieder. Der Generalstreik führte zu einer völligen Lähmung des öffentlichen Lebens. Nach vier Tagen mußte die Putschregierung aufgeben. Über den Verlauf des Kapp-Putsches in Nortorf wissen wir zwar nichts, wohl aber über eine Informationsveranstaltung der SPD im April 1920, auf der der Kieler Sozialdemokrat Eggerstedt zum Thema „Kapp-Putsch und die augenblickliche Lage" sprach: „Redner beschäftigte sich hauptsächlich mit den Rechtsparteien und rollte deren Südenregister auf. Als Gegenreferent trat ein Herr Rickert auf, der versuchte, das Schild der Kapp-Parteien wieder rein zu waschen. Es gelang ihm aber nicht. Während des Referats des Genossen Eggerstedt rief einer der anwesen Gegner des öfteren in stumpfsinniger Weise ‚Quatsch!′ dazwischen. Trotzdem Genosse Eggerstedt ihn aufforderte, in der Diskussion seine gegenteilige Meinung zum Ausdruck zu bringen, brachte er dazu den Mut nicht auf. Im Schlußwort fertigte der Referent den deutschnationalen Redner sowie den Zwischenrufer, den Amtsrichter von Nortorf, gebührend ab." (VZ vom 28.04.1920)

Am 6. Juni 1920 waren dann die Deutschen aufgerufen, den ersten Reichstag auf der Grundlage der neuen Verfassung zu wählen. Mit Rücksicht auf die Volksabstimmung im Landesteil Schleswig fand die Wahl in Schleswig-Holstein jedoch erst am 20. Februar 1921 statt. Auf Reichsebene war die SPD die große Verliererin dieser Wahl. Hatte sie bei der Wahl zur Nationalversammlung noch 37,9 % der Stimmen erringen können, waren es jetzt nur noch 21,5 %. Der Grund für den Absturz: Ihr wurde vor allem die Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages zum Vorwurf gemacht, der Deutschland schwere Lasten auferlegte.

 

Die Entwicklung der Sozialdemokratie in Deutschland
(VZ v. 14.10.1929)

 
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