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Heute: 70 Jahre Grundgesetz - Ein persönlicher Bericht von Helmut Jacobs

Veröffentlicht am 23.05.2019, 13:23 Uhr     Druckversion

Helmut Jacobs, Wilster

Das Grundgesetz ist 70 Jahre alt. Ich bin 1946 geboren und habe somit fast mein ganzes Leben in einem Land mit dieser tollen Verfassung in Frieden gelebt. Ich habe mein Leben einmal Revue passieren lassen und mich erinnert, welche konkreten Begegnungen ich mit diesem Grundgesetz hatte.  

Wir leben heute in einer Zeit, in der sich die Menschen auf der ganzen Welt in über 50 Krisenherden bekriegen. Es geht um Erdöl, Bodenschätze, Wasservorräte, Hungersnot oder um unterschiedliche Glaubensrichtungen.

Überall wächst ein Nationalbewusstsein und die ohnehin latent vorhandenen Eigenschaften der Menschen, zuerst an sich selbst zu denken, kommen wieder mehr zum Ausbruch. Durch Machthaber, die täglich vorführen, dass man erst an sein eigenes Land denken sollte, wird dieses egoistische nationale Denken noch geschürt. Die „alte Mutter“ SPD, die für die Menschen viel erreicht hat, im Nazi-Regime verboten war und in mehr als 150 Jahren gezeigt hat, dass sie sich vorrangig für die arbeitende Bevölkerung und für die Menschen mit schwachen Schultern einsetzt, erhält immer weniger Wählerstimmen.  

Dennoch ist die Situation in unserem Land einigermaßen stabil. Ich sage: Das ist so, weil vor 70 Jahren verantwortungsbewusste Politiker und Fachbeamte ein Fundament aus Grundwerten zusammengefügt haben, mit dem ein Zusammenleben in unserem Staat gesichert wird.

Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verkündet. Die Westalliierten ließen in 11 Landtagen 65 Abgeordnete wählen, die eine Verfassung für eine westdeutsche Republik erarbeiten sollten. Der Rat trat am 1. September 1948 auf der Insel Herrenchiemsee zusammen. Vorsitzender des   parlamentarischen Rates war Konrad Adenauer. Vorsitzender des für die Verfassung maßgeblichen Hauptausschusses wurde der SPD-Politiker Carlo Schmid. Stellvertretender Vorsitzender des Rates war Adolf Schönfelder (SPD), nach dem in Hamburg eine Straße und eine Gesamtschule benannt worden sind. Der Parlamentarische Rat war sich der Defizite der Weimarer Verfassung und der Verbrechen des Nationalsozialismus bewusst. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes setzten die Würde und die Freiheit des Einzelnen ganz an den Anfang.

Nie wieder sollte ein Weg in die Sackgasse einer Diktatur führen. Meinungs-, Informations-, Presse- und Rundfunkfreiheit sollten die Deutschen zu mündigen Bürgern machen. Auch sollte international Vertrauen gewonnen werden. Das Grundgesetz umfasst 146 Artikel, die sich in vier Bereiche einteilen lassen. Der erste Bereich enthält die 19 unantastbaren Grundrechte. Im zweiten Bereich wird die föderalistische Staatsstruktur, also das Verhältnis von Bund und Ländern bestimmt.  

Der dritte Bereich beschreibt Funktion und Aufgaben der obersten Staatsorgane und im vierten werden die Staatsfunktionen wie die Ausführung von Bundesgesetzen usw. behandelt. In der Präambel ist der Wille unterstrichen, „in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.“ Das Grundgesetz ist in seiner Geschichte über 60mal geändert worden. Eine entscheidende Änderung war 1956 das Soldatengesetz mit der Einführung der Bundeswehr. Die damalige Regierung aus CDU/CSU, FDP, DP und BHE hatte eine Zweidrittelmehrheit und konnte somit gegen die Stimmen der SPD das Grundgesetz ändern.  

Dieses Thema war meine erste Begegnung mit Politik. Ich war damals als Neunjähriger mit meinem Vater unterwegs, um Flugblätter gegen die Einführung der Bundeswehr zu verteilen. Mein Vater war SPD-Mitglied und strikt gegen die Wiedereinführung einer Armee. Er ist im November 1925 geboren. Nach einer Bauschlosserlehre bei der Fa. Helmut Scheel in Itzehoe, kam er in den Krieg. Er war Fallschirmjäger und ist als 18- und 19-Jähriger zweimal schwer verwundet worden. Für ihn endete der Krieg in einem englischen Lazarett. Trotz Widerstand – nicht nur der SPD-Anhänger - kam es zur Einführung der Bundeswehr. Es wurde der Artikel 87a mit der Formulierung „zur Verteidigung aufgestellte Streitkräfte“ eingefügt. Das Gutachten für die Einführung wurde von einem Wehrmachtsgeneral erstellt.  Ein eingefügter Artikel 12a regelt die allgemeine Wehrpflicht und den Ersatzdienst. Als ich Mitte der 60er-Jahre Abitur gemacht hatte, musste ich für 18 Monate als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr. Ich wäre zwar gern, wie es das Grundgesetz vorsah, Verweigerer geworden, aber die Hürden waren mir zu groß. Es gab viele dicke Bücher über Kriegsdienstverweigerung und Verweigerungsausschüsse, die von einem solchen Vorhaben nur abschreckten. Ich wollte Abitur machen und hatte auch nicht die Zeit, um mich für einen aufwändigen Verweigerungsprozess vorbereiten zu können.  Es gab in meinem damaligen Umfeld niemand, der es geschafft hatte, als Verweigerer anerkannt zu werden. Mehrere meiner Schulkameraden, die nicht zum Bund wollten, setzten sich mit dem Abitur in der Tasche nach Westberlin ab, studierten dort und wurden nie mehr einberufen. Erst unter Helmut Schmidt als Verteidigungsminister wurde das Verweigern einfacher. Die Verweigerungsgremien wurden abgeschafft und es genügte oftmals eine Postkarte, wenn man lieber Ersatzdienst leisten wollte. Hier nun einige gekürzte Formulierungen der Grundrechte:   Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Die Freiheit des Glaubens und des Gewissens ist unverletzlich. Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Ehe und Familie stehen unter dem Schutz der staatlichen Ordnung. Das gesamte Schulwesen steht unter Aufsicht des Staates. Alle Deutschen haben das Recht sich friedlich zu versammeln und Vereine und Gesellschaften zu bilden. Es gilt das Briefgeheimnis und das Petitionsrecht. Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Es besteht ein Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes. Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden. Die Wohnung ist unverletzlich. Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Die Umsetzung dieser Rechte hat aber lange gedauert. Immer wieder musste das Verfassungsgericht bemüht werden. Wenn sich die Politik nicht einig war, dann musste das Gericht sich einmischen. Politisch am stärksten umstritten war 1993 die Einengung des Grundrechts auf Asyl. Die SPD – mit Björn Engholm als Bundesvorsitzender – hatte diese Verfassungsänderung mitgetragen. Es kam zum Abbruch der Freundschaft zwischen Engholm und Günter Grass. Seit dieser Zeit war Grass bei den Wewelsflether Gesprächen nicht mehr dabei.

Nach dem Krieg war in vielen Köpfen noch der Geist des Dritten Reiches vorhanden. Viele, die ihre nationalsozialistische Gesinnung verleugneten und sich als heimliche Widerstandskämpfer ausgaben, nahmen wieder wichtige Aufgaben im öffentlichen Dienst ein. In vielen Landesregierungen gab es Minister, die auch im Unrechtsregime davor hohe Staatsämter inne hatten. In den 70er Jahren waren noch über 3000 Juristen aus dem Naziregime tätig. Am weitesten hatte es Filbinger gebracht. Er musste als Ministerpräsident zurücktreten, weil man ihn nachweisen konnte, noch in den letzten Kriegstagen Todesurteile ausgesprochen zu haben. Er hat 1978 behauptet: Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein. Einer meiner Vorgänger als Bürgervorsteher in der kleinen Stadt Wilster hatte diese Funktion über 20 Jahre inne. Die Mehrheit hat ihn immer wieder gewählt und unterstützt. Unter Adolf war er Bannführer und wollte noch 1945 mit Mitgliedern der Hitlerjugend in Wilster Brücken sprengen.   In Schleswig-Holstein gab es einen Innenminister und Ministerpräsidenten Barschel. Dieser hatte schon als Primaner in Geesthacht Großadmiral Karl Dönitz, der mit seinen Treueschwüren am Abend des 20. Juli 1944 die Rundfunkrede Hitlers eingeleitet hatte, zu einem Vortrag in seine Schule eingeladen. Der nachfolgende Eklat endete mit dem Selbstmord des Schulleiters. Wenige Jahre später stand der junge CDU-Politiker mit Alt- und Neonazis am Grab von Hitlers Großadmiral im Sachsenwald. Später wurde er Innenminister und kommandierte die schleswig-holsteinische Polizeistreitmacht bei mehreren Schlachten um Brokdorf. Selten zuvor oder danach hat es so viele Übergriffe der Staatsgewalt gegen friedliche Bürger gegeben wie an jenen Tagen in der Wilster-Marsch. Ich war auf allen Brokdorf-Demos dabei, weil ich gegen eine Technik bin, die nicht versagen darf. Ich kann mich erinnern, dass wir als friedliche Demonstranten 1979 aus Hubschraubern mit Tränengas getrieben wurden und zwar nicht vom Gelände weg, sondern zum Bauwerksgelände hin. Im Februar 1981, das war wohl die größte Demo aller Zeiten, hatte der Landrat trotz Grundgesetz ein Demonstrationsverbot verfügt.  Das Kraftwerksbaugelände wurde in einem Umkreis von 8 km abgeschirmt. Die Folge war, dass sich die Demonstranten in riesiger Zahl hauptsächlich in der kleinen Stadt Wilster versammeln würden.  Ich war damals amt. Bürgermeister und befürchtete, dass unsere kleine Stadt die vielen Menschen nicht verkraften könnte. Daher hatte ich mit anderen gegen das Verbot Verfassungsklage erhoben.  Da die Straßen nach Brokdorf mit Containern gesperrt waren und mehrere Polizeihundertschaften aus anderen Bundesländern bei den Sperrungen halfen, versammelten sich In der Tat Tausende von Demonstranten in der kleinen Marschenstadt Wilster. Es war ein sehr kalter Wintertag und die meisten kamen aus dem warmen Süden Deutschlands. Sie waren nicht warm genug angezogen. Reese verkaufte schließlich, weil Handschuhe ausverkauft waren, sogar rote Socken als Handwärmer. Die Läden mit Lebensmitteln und Getränken wurden leer gekauft und viele Anwohner verkauften heiße Getränke. Wilsteraner Kaufleute hatten gut verdient.

Nach der Demo erhielten der Brokdorfer Bürgermeister und der Stationsleiter der Polizei das Bundesverdienstkreuz. Heute werden Demos viel lockerer gesehen. Die Menschenketten gegen Kernenergie vor einigen Jahren auf dem Elbdeich wurden von der Staatsgewalt an keiner Stelle behindert. Der positive Wandel in Richtung Demokratie trat erst allmählich mit Willi Brandt als Bundeskanzler ein. Er war es, der mehr Demokratie wagte, keine einsamen Entscheidungen traf und Denkmodelle zur Diskussion stellte. Das Grundgesetz war für die Westdeutschen und 40 Jahre später auch für die Ostdeutschen ein Glücksfall, in dem Sozialstaat, soziale Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und der Freiheitsgedanke austariert und fest miteinander verwoben sind. Und doch hatten sich Juristen in der Vergangenheit mit vielen Fragen auseinander zu setzen und zu prüfen, was sich mit dem Grundgesetz vereinbaren lässt. Bei den Fragen geht es insbesondere auch darum, inwieweit Grundrechte einerseits eingeschränkt werden können, um diese andererseits zu bewahren. Oder: Wie können Sicherheitsbedürfnis   und größtmögliche individuelle Freiheit in Einklang gebracht werden. Ich nenne hier einige Fragen: Ist der Einsatz von Bodyscannern an Flughäfen ein Verstoß gegen die Menschenwürde? Gilt Demonstrationsfreiheit auch für Rechtsextremisten? Wie steht es mit dem Folterverbot und Notwehrrecht? Wie darf die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden? Darf es den finalen Rettungsschuss oder den tödlichen Rettungsabschuss geben? Der Terroranschlag am 11. September 2001 machte neue Sicherheitsgesetze erforderlich. Der Datenschutz, Rasterfahndung und andere Sicherheitsgesetze kamen auf den Prüfstand.   

Weil Verfassungsfeinde Grundrechte und Institutionen des Grundgesetzes nutzen, um die bestehende Gesellschaftsordnung zu überwinden, wurde unter Juristen und Sicherheitsfachleuten das Konzept der wehrhaften Demokratie diskutiert. Es soll Verfassungsgegnern daran hindern, im Inneren von Gesellschaft und Staat die mit dem Grundgesetz verbürgte Gesellschaftsordnung zu beseitigen. Rechtsextremistische Straftaten zielen darauf ab, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen und den Staat des Grundgesetzes durch einen „Führerstaat“ zu ersetzen. Toleranz und Achtung vor dem Anderen braucht die Erinnerung an das, was Menschenverachtung an Gräuel und Leid zu schaffen vermag. Ich wünsche mir, dass die Menschen immer wieder Ernst machen mit dem Schutz der Menschenwürde und weiterhin dafür eintreten, die Erinnerung an den Terror des Nationalsozialismus immer wieder wach zu halten.

Wilster, im Mai 2019   Helmut Jacobs

 

Homepage: SPD-Wilster


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